Prostitution und Pornografie

Allgemein

Prostitution, das älteste Gewerbe der Welt… darüber brauchen wir nicht reden! Oder doch?! „Nein, im ältesten Gewerbe arbeitet die Hebamme und in vielen Kulturen war Prostitution lange Zeit unbekannt. Über Sklaverei, die Todesstrafe oder Kinderarbeit wurde auch gesagt, dass sie unvermeidbar seien. Auch heute noch gibt es alle diese Phänomene in verschiedenen Teilen der Welt, doch das bedeutet nicht, dass dies akzeptabel ist … selbst, wenn es Prostitution schon immer gegeben hätte, macht es sie nicht weniger problematisch … „, so schreibt Terre des Femmes und räumt mit 7 Mythen zur Prostitution auf, die jeder einmal gelesen haben sollte.

Zum Thema Prostitution gibt es viele Aspekte, Sichtweisen und Befindlichkeiten – ein komplexes Thema zu einer Parallelgesellschaft mitten unter uns. Deutschland hat ein Alleinstellungsmerkmal angenommen, nämlich als Drehscheibe für Prostitution, Menschenhandel und als Paradies für Bordelle, eine Erscheinung, wie sonst nirgendwo in Europa. Es geht uns alle an und wir brauchen eine Haltung dazu!

Der Interdisziplinäre Fachtag zum Prostitutionsschutzgesetz bei KARO e. V. in November 2018 gab uns äußerst umfassend fundierte Information, die uns zutiefst berührt und die im AVALON-Team einige Gespräche in Gang gesetzt hat.

Warum schreiben wir darüber in auf unserer Homepage und in unserem Jahresbericht? Weil es sich um eine Form von sexualisierter Gewalt handelt. Weil wir in unserer Präventionsarbeit Jugendliche vor Gewalt und Prostitution schützen wollen. Weil Pornografie ein weitverbreitetes und scheinbar wenig hinterfragtes Konsumverhalten bei den Jugendlichen ist und es Wechselwirkungen zur Prostitution gibt.

Auf zahlreichen Touristen-Stadtplänen, auf Touristenbustouren in Deutschland ist das Rotlichtviertel unübersehbar gekennzeichnet wie kein anderer Bezirk, als Party-,- Sex- und Konsummeile! Flatrate-Parken vor Bordellen – Jugendliche/junge Männer, die in ihrer Mittagspause entscheiden, ob sie schnell mal zu einer „Nutte“ gehen oder lieber einen Döner essen – Firmenfeiern, Abifeiern, After-Parties nach Sportereignissen werden auch in Bordellen gefeiert. Das Internet ist voller Porno-Angebote und Plattformen. Den Vorstellungen und Wünschen der Nutzer werden scheinbar keine Grenzen gesetzt. Mit Prostitution und Menschenhandel von Frauen und Kindern wird ein Milliardenumsatz erzielt, geschätzt so viel wie in der Automobilbranche, Rüstungsindustrie oder Bekleidungsbranche. Die Polizei braucht mehr Mittel im Kampf gegen Korruption und Menschenhandel.

Prostitution heute ist nicht Prostitution in der Vergangenheit. Es gibt keine genauen Zahlen, aber das Statistische Bundesamt, Fachleute und die Polizei arbeiten mit Zahlen, die besagen, dass wir in Deutschland ca. 400.000 Prostituierte haben und ca. 1 Mio Männer, die täglich zu Prostituierten gehen. Laut neuesten Polizeistatistiken für den Raum Stuttgart oder München kommen 80-90% der Frauen aus dem Ausland, sogenannte Armutsprostituierte, also kein „Beruf“, der von deutschen Frauen angestrebt wird.

„Für viele Frauen aus Südosteuropa allerdings dürften Begriffe wie „freier Wille“ oder „Selbstbestimmung“ leere Worthülsen sein. Unter anderem belegt die Biographieforschung der Mannheimer Sozialwissenschaftlerin Julia Wege, dass Prostituierte auffällig oft in Kindheit und Jugend Gewalt und Missbrauch erlebt haben. Die Frage, wo Freiwilligkeit beginnt und endet, ist für viele der oft sehr jungen und meist schlecht gebildeten Frauen aus Südosteuropa kaum zu beantworten, das jedenfalls ist die Erfahrung des Augsburger Kriminalkommissars Helmut Sporer laut einem Deutschlandfunkinterview. Häufig würden sogenannte Freunde und Loverboys die Frauen manipulieren und auf den Strich lotsen. Dass sich die Opfer in einem 45-minütigen Anmeldegespräch, welches das Prostitutionsschutzgesetz vorgibt, offenbaren ist für ihn pure Illusion.“

„Prostitution hat sich sehr verändert im Laufe der letzten Jahrzehnte“,  berichtet Sabine Constabel von Sisters e. V. eindrücklich und ausführlich beim Interdisziplinären Fachtag zum Prostitutionsschutzgesetz von Karo e. V. am 23.11.2018 in Plauen. „Vielen Menschen in unserer Gesellschaft ist diese Veränderung in all ihren Ausprägungen noch nicht wirklich bewusst. Das Geschäft Prostitution war schon immer ein Unrechtssystem und voller Gewalt und Machtungleichheit, aber manche Frauen hatten früher vielleicht doch so etwas wie einen “Berufsethos”, den sie aufrechterhalten konnten zu einem gewissen Teil, auch, wenn man nicht von Beruf sprechen kann. In unseren heutigen Zeiten gipfelt Prostitution in höchstem Maße in brutalster, menschenentwürdigender Gewalt durch die völlige Entrechtung der Frauen, das ist moderne Sklaverei.“

Dr. Ingeborg Kraus arbeitet als Psychotherapeutin und behandelt in ihrer Praxis vor allem Frauen, die als Prostituierte arbeiten und darunter leiden. Auszüge aus ihrem Interview „Die Vagina ist kein Spielzeug für Männer, was Prostitution alles anrichten kann“:

„Ich habe auch Frauen in therapeutischer Behandlung gehabt, die sagten, sie täten es liebend gerne. Sie sind aber nur eine minimale Spitze des Eisbergs. Aber auch sie blenden aus, was mit ihnen wirklich dort passiert. Sie haben gelernt abzuschalten, weil schwere Dinge in ihrem Leben passiert sind, und sie diese nicht aufgearbeitet haben. Sie meinen, sie prostituieren sich freiwillig – dabei verleugnen sie sich selbst. Viele Frauen haben mir zu Beginn der Therapie gesagt: „Dieser Beruf ist kein Problem, was will man mir da wegnehmen?“ Nach einer Weile tauchen aber tiefe Verletzungen in den Biografien auf, erst später wird den Frauen klar, was sie mit sich haben machen lassen.“

Manfred Paulus, Kriminalhauptkommissar a. D., ermittelte 30 Jahre  bei der Kripo Ulm im Rotlichtmilieu und ging auch international gegen Organ- und Kinderhandel vor. Er erklärt aktuell im SWR NachtCafé vom 17.05.2019, dass im Prostitutionsmilieu in weiten Teilen mafiöse Strukturen herrschen, die z B. osteuropäische Frauen schon während der Schleusung mit den Spielregeln dieser Parallelgesellschaft konfrontieren. Auf Verrat stehen Höchststrafen und zu sagen, dass man sich nicht „freiwillig“ prostituiere, käme dem gleich. Er habe in seiner ganzen beruflichen Laufbahn keine einzige Frau kennengelernt, von der er den Eindruck hatte, dass sie sich aus Überzeugung gerne freiwilllig prostituiere.

Frauen aus Deutschland, die sagen, dass sie sich freiwillig prostituieren sind häufig hineingeschlittert, wollten es ausprobieren, dachten, dass sie sich nur eine Zeit lang prostituieren müssten und dann wieder aufhören könnten, so berichten Prostituierte. Sie tun es sehr häufig aus einer Notlage heraus, weil sie dringend Geld brauchen und keinen andere Möglichkeit sehen.

In Kindheit und Jugend erlebte sexualisierte Gewalt kann zu einer veränderten Selbstwahrnehmung führen. Wertschätzung wird über das zur Verfügung stellen des eigenen Körpers zur Befriedigung der Lust des Mannes erfahren. Die eigenen Bedürfnisse werden nicht mehr wahrgenommen, Schamgrenzen werden übergangen.

Die Vagina einer Frau ist kein „Arbeitsplatz“, erklärt Dr. Ingeborg Kraus. Die Vagina einer Frau ist ein empfindliches Organ im weiblichen Körper und äußerst empfindsam. Welcher Mann würde nicht dasselbe von seinem Penis behaupten! „Was Sexarbeit anrichten kann!“.

Anke Precht, Psychologin, schreibt auf ihrer Homepage „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere“ und erzählt über ihre Erfahrungen und ihre berufliche Zusammenarbeit mit 5 ehemaligen Prostituierten. „Die Lebenserwartung beträgt laut einer Studie im Durchschnitt 33 Jahre. Sie haben eine Seele, die der eines Folteropfers entspricht. Schwerst traumatisiert. Alle haben ein Abhängigkeitsproblem, sie haben während ihrer aktiven Zeit viel Alkohol getrunken oder andere Drogen genommen, um den Job auszuhalten, sie haben sich während des Sex aus ihrem Körper gebeamt, viel getan, um sich nicht mehr zu spüren, sie haben verletzte Genitalien, sie haben Kinder abgetrieben, sie sind arm. In Deutschland werden sie vielleicht ein wenig älter. Aber auch bei uns sterben sie früh: An ihrer Sucht, an Krankheiten, an Gewalt, und viele nehmen sich das Leben. Nach der Zeit als Prostituierte arbeiten sie als Hilfskräfte, zum Beispiel in der Altenpflege, denn sie sind ja hart im Nehmen, oder sie enden auf der Straße, weil sie aus dem sozialen Gefüge heraus gefallen sind!

Freier kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten und die meisten unter ihnen sind in Paarbeziehungen und haben Kinder. Es gibt Stammkunden und Gelegenheitsfreier und wenige gehen nur einmal hin. Die meisten verleugnen die Gewalt und blenden die Realität aus. Freier haben keine Schuldgefühle, denn sie sind der Meinung, dass  sie ein Recht auf Sex haben und dafür Frauen benutzten dürfen. Sie haben Verdrängungsmechanismen in sich etabliert und lehnen die Verantwortung für ihr Handeln ab. Warum Männer zu Prostitutierten gehen erzählt Huschke Mau, ehemalige Prostituierte, in „Alle Freier sind Täter“ .

Warum gehen Männer zu Prostituierten? Wie erleben sie ihren Besuch im Bordell? Wie beeinflusst das ihr Sexleben – und ihre Beziehung? Wie gehen sie damit um, dass Frauen zur Sexarbeit gezwungen werden: Drei Freier erzählen, warum sie zu Prostituierten gehen.

Viele Jugendliche konsumieren Pornos und durchlaufen dabei unterschiedliche Phasen des Konsumverhaltens. Männliche als auch weibliche Jugendliche und junge Erwachsene orientieren sich für ihr Sexualverhalten an Pornografie … mit der Folge schwerer Grenzüberschreitungen und psychischer Überforderung. Das spiegelt sich auch in unserer Beratungsarbeit wieder (z. B. Projekt „Alles Spaß?!“)

Was das in jungen Männern auslösen kann erzählen zwei Männer, die es selbst erlebt haben.

Ein ehemaliger Pornonutzer und Freier berichtet über Pornografie als Einstieg in die Prostitution und erklärt Zusammenhänge im Bericht „Deutschland, das Land der betrogenen Frauen.

Pornografie ist gefilmte Prostitution meint Ran Gavrieli, ein Mann der weiß wovon er spricht. Er war pornosüchtig und half Prostituierten beim Ausstieg. Er hat in Tel Aviv zum Thema „Sex, Macht und Gender“ promoviert.

„Pornos brutalisieren die Gesellschaft“ meint Amerikas bekannteste Pornografie-Forscherin Gail Dines und spricht darüber, warum der Druck aus Pornos Frauen ganz wesentlich betrifft, auch, wenn sie selbst keine sehen.

 

„Prostitution gehört klar verboten! – und neue Wege im sexuellen Umgang zwischen Mann und Frau müssen in unserer Gesellschaft gefunden werden meint Prof. Dr. Gallwitz, Polizeipsychologe und Gutachter. „Prostitution ist nicht nur zutiefst frauenfeindlich, sondern es macht auch etwas mit den Freiern – also ebenso männerfeindlich und entwürdigend für die Männer selbst. Der sehr nah an die Prostitution gekoppelte Pornokonsum lässt Männer und Frauen empathielos und beziehungslos werden in vielen wichtigen Bereichen ihrer Persönlichkeit. Es gibt ein breites Spektrum an Wechselwirkungen. – Es braucht dringend einen Perspektivwechsel in der Gesellschaft.“

 

„Es ist zu klären, welche Hilfen es in den einzelnen, sehr unterschiedlichen Bereichen der Prostitution geben kann, die eine gute Lösung gibt es nicht“, sagt Sabine Constabel von Sisters e.V.

  • Was suggeriert uns tagtäglich die Marketingwelt in aller medialer Bandbreite rund um das Thema Werbefläche weiblicher Körper, Pornografie und Prostitution und welche Wechselwirkungen hat das für uns in Paarbeziehungen, als Eltern etc. Wir sollten uns nicht am eigenständigen Denken und Entscheiden hindern lassen!
  • Warum ist Prostitution auch nicht hilfsweise ein Milieu, das uns Menschen in unserem weiblichen und männlichen Dasein gut tut. Darüber sollten wir noch detaillierter miteinander sprechen, bis alle Befürchtungen gegen die Notwendigkeit, Prostitution abzuschaffen, ausreichend beantwortet sind.
  • Was braucht es in der Prävention bei Jugendlichen, damit junge Frauen nicht in die Prostitution gezwungen werden können einerseits, andererseits Jugendliche, jüngere und ältere Männer keine Freier werden oder bleiben und somit keinen Markt mehr für weibliche und männliche Prostituierte schaffen!

Mutiger Beitrag in der Sendung „Aktenzeichen XY“ vom 27.03.2019: Ex-Prostituierte (Sandra Norak) rührt Millionenpublikumm, ab Minute 38 Bericht über Prostitution – Loverboy-Methode

Kurze und knappe Rede, die erklärt, warum das System Prostitution ein System der Gewalt mit vielen Gesichter ist und nicht mehr akzeptiert und toleriert werden kann. Weitere Infos unter: Trauma and prostitution.eu

Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie bis hierher gelesen haben, brauchen Sie höchstwahrscheinlich eine Verschnaufpause und haben einiges Neue erfahren, vermuten wir. Lassen Sie sich Zeit mit einer Meinungsbildung und einer eigenen Haltung.

Wir bei AVALON wünschen uns, dass mehr Menschen hinschauen, wahrnehmen, verstehen und handeln. Wir wünschen uns weiterhin, die Einführung des Nordischen Modells, d. h. ein klares Sexkaufverbot, da Prostitution weder Beruf noch Sex ist und mit der Gleichstellung von Mann und Frau unvereinbar ist. Das bedeutet die Kriminalisierung von Sexkäufern, die Entkriminalisierung von Prostitution, Hilfe für den Ausstieg und Aufklärung.